Montag, 19. August 2013

Von Marie und mir

Als Marie, meine erste Hauptfigur, bei mir einzog, wusste ich von ihr nicht mehr, als dass sie von ihrem Leben die Nase voll hatte. Aber genau das interessierte mich. Also begann ich zu schreiben. Sehr schnell wurde mir klar, dass Marie an ihr selbstgewähltes Lebensende offensichtlich ganz andere Ansprüche stellte als die meisten von uns es tun würden. Ich schrieb und schrieb, und gleichzeitig plante Marie sozusagen im Nebenzimmer ihren Selbstmord. Schritt für Schritt, Punkt für Punkt. Minutiös, akribisch, pragmatisch.
Je näher ich Marie kennenlernte, desto bewusster wurde mir, dass sie in jedem Fall einen unkreativen, eher nüchternen Beruf haben musste. Wer sich so emotionslos und durchorganisiert an die Planung seines eigenen Lebensendes macht, kann keinen künstlerischen oder gar sozialen Beruf ausüben. Also wurde Marie Informatikerin. Ausgerechnet. Einen größeren Unterschied zu mir konnte es kaum geben. Schon im Gymnasium habe ich immer eher die sprachlichen als die mathematischen Fächer gemocht. Und Informatik als Wissenschaft gab es in meiner Schulzeit ja noch gar nicht. Meinen ersten Text mit dem Computer habe ich mit achtzehn geschrieben.
Um mit Marie mithalten zu können, musste ich also recherchieren. Was im Bereich Informatik gar nicht so einfach ist. Schon genauere Informationen zu finden, ist schwer. Sie dann aber auch noch zu verstehen... quasi unmöglich. Zumindest für einen mathematisch eher unbegabten Menschen wie mich. Ich weiß nicht, wie oft ich mich im Laufe des Zusammenwohnens mit Marie gefragt habe, warum sie ausgerechnet Informatikerin sein muss. Manchmal machen es einem die eigenen Hauptfiguren wirklich nicht gerade leicht. Nun gut, irgendwie war ich selbst schuld. Warum hatte ich Marie überhaupt einziehen lassen?
Im Laufe der Zeit fand ich einen Weg, Maries Arbeit nicht unbedingt immer in aller Ausführlichkeit zu beschreiben. Schließlich war das für das Erzählen ihrer Geschichte auch nicht notwendig. Und welcher Leser legt bei einem Frauenroman schon Wert auf eine mathematische Abhandlung? Zumal, wenn diese von einer Autorin verfasst ist, die man getrost als äußerst fachfremd bezeichnen könnte.
So fand mein Zusammenleben mit Marie doch noch ein glückliches Ende. Trotzdem muss ich bei der häufig gestellten Frage „Wieviel von Ihnen steckt in Marie?“ immer wieder grinsen. Ein bißchen Autor steckt sicher in jeder fiktionalen Figur. Das kann wahrscheinlich keiner ganz verhindern. Und wenn es nur der Geschmack, der Tonfall, einige Vorlieben oder die politische Einstellung ist. Trotzdem macht gerade die Auseinandersetzung mit den unbekannten Seiten und Themen des Lebens mitunter den Reiz des Schreibens aus. Und da hat mich meine Mitbewohnerin Marie sicher immer wieder ganz schön gefordert...

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