Donnerstag, 5. November 2015

Von der perfekten Hauptfigur und ihrem Geschlecht (1)

Nach der Zeit des Nicht-Schreibens kommt zwangsläufig irgendwann einmal wieder die Zeit des Schreibens, falls man den Autorenberuf nicht endgültig an den Nagel gehängt hat. Und mit der Zeit des Schreibens kommt auch wieder die Zeit der Figuren, die unsere Geschichten bevölkern. Jetzt geht es erneut darum, wie diese Protagonisten konzipiert sein müssen, um für den Leser glaubwürdig und interessant zu sein.
Zunächst einmal geht es darum, ob die Hauptfigur männlich oder weiblich sein soll. Das ergibt sich wahrscheinlich recht oft aus dem Geschlecht des Autors. Männer schreiben vermutlich lieber über Männer und Frauen über Frauen. Aber muss das so sein? Natürlich nicht. Es gibt genügend Gegenbeispiele. Rita Falk schrieb bereits einige Krimis über den Dorfpolizisten Franz Eberhofer, Theodor Fontane einen ganzen Roman über Effi Briest und Gustave Flaubert einen über Madame Bovary.
Die Frage, ob die genannten Schriftsteller ein überzeugendes Bild des jeweils anderen Geschlechts gezeichnet haben, möge jeder Leser selbst beantworten. Doch ihre Romane sind erfolgreich genug, um zu vermuten, dass es durchaus möglich ist, seine Hauptfiguren nicht ausschließlich mit dem eigenen Geschlecht zu besetzen.
Im Zusammenhang damit stellt sich die Frage, ob das Geschlecht einer Hauptfigur überhaupt austauschbar ist. Kann ich aus einer Frau so einfach einen Mann machen und umgekehrt? Abgesehen davon, dass bestimmte Themen vermutlich immer noch frauen- oder männertypisch sind, passen manche Charakterzüge wohl eher zu einer weiblichen Protagonistin und andere eher zu einem männlichen.
Es ist also wahrscheinlich, dass ein und dieselbe Geschichte von einem Mann anders erlebt wird als von einer Frau. Somit kann ich mit dem Geschlecht der Protagonisten den Verlauf einer Geschichte ziemlich beeinflussen. Oder anders herum gesagt muss ich bei der Wahl meiner Hauptfigur bedenken, wie ihre Entwicklung im Laufe des Romans sein soll. Denn entscheide ich mich für eine Frau, werden andere Situationen oder Geschehnisse glaubwürdig sein als bei einem Mann.
Trotzdem ist der Gedanke interessant, ob die Veränderung des Geschlechts der Figuren zwangsläufig eine Veränderung der gesamten Geschichte nach sich zieht. Vielleicht ändern sich ja nur einige Aspekte oder nur das Ende. Und vielleicht wird die Entwicklung auch spannender, wenn sie gegen den Strich des sonst üblichen gebürstet wird.
Was allerdings bei aller eventuell möglicher Austauschbarkeit gewahrt werden muss, ist die Glaubwürdigkeit einer Figur. Kein Leser wird sich über hunderte von Seiten gerne mit einem Protagonisten auseinandersetzen, der in seiner Persönlichkeit komplett allem widerspricht, was er aus seinem eigenen Leben und der Realität kennt.
Es bleibt also eine Gradwanderung, inwieweit man als Autor bei der Frage nach „geschlechtertypischen“ Eigenschaften und Verhaltensweisen von der üblichen Meinung abweicht oder nicht.

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